Rezensionen

Eine kurze Geschichte der Gleichheit

Thomas Piketty: Eine kurze Geschichte der Gleichheit
Übersetzung aus dem Franz.: Stefan Lorenzer
€ 26,50

C.H. Beck 2022
geb., 265 Seiten
ISBN: 978-3-406-79098-0
eBook: 9783406791000
ePUB:  9783406790997


Abb.: https://imageservice.azureedge.net/api/getimage?productId=33757016


Thomas Piketty, 1971 geb., ist Wirtschaftswissenschaftler und Professor an der Pariser Elitehochschule EHESS. Er unterstützte die sozialistische Präsidentschafts-Kanditatin Ségolène Royal, die dem Konservativen Nicolas Sarkozy unterlag.

Mit seinem 816 Seiten umfangreichen2014 veröffentlichten Buch Das Kapital im 21. Jahrhundert, in dem er soziale Ungleichheiten thematisierte, erhielt er große Aufmerksamkeit.
Siehe Beitrag von 2016 https://www.oeliug.at/linkliste/news-archiv-2016/news-archiv-2016-04/
Damit diese Debatte verstärkt in der Gesellschaft ankommt, legt Piketty nun ein dünneres und leichter zu lesendes Buch vor. Er macht bewusst, was der sogenannte „Fortschritt“ kostet und wie dieser erzielt wurde und immer noch wird. Er motiviert, die gegenwärtigen Machtstrukturen zu verändern, um mehr Gerechtigkeit in diese Welt zu bringen. Ungerechtigkeit ist kein Schicksal, sie wird gemacht und daher ist es auch möglich, Gerechtigkeit für alle herzustellen.

Das Buch ist in 10 Kapitel (Der lange Weg zur Gleichheit / Die allmähliche Dekonzentration von Macht und Eigentum / Das Erbe der Sklaverei und des Kolonialismus / Die Frage der Wiedergutmachung / Revolutionen, Status, Klassen / Die große Umverteilung, 1914–1980 / Demokratie, Sozialismus und progressive Einkommensteuer / Reale Gleichheit gegen Diskriminierung / Auswege aus dem Neokolonialismus / Für einen demokratischen, ökologischen sowie ethnisch und kulturell diversen Sozialismus) strukturiert.
Piketty beginnt seine Einleitung mit: „Dieses Buch bietet eine vergleichende Geschichte der Ungleichheit zwischen gesellschaftlichen Klassen in menschlichen Gesellschaften – oder vielmehr eine Geschichte der Gleichheit, gibt es doch eine langfristige historische Tendenz zu mehr sozialer, ökonomischer und politischer Gleichheit.“ und endet mit den Worten: „Um auf dem Weg zur Gleichheit voranzukommen, ist es entscheidend, sich auf die Geschichte zu besinnen und nationale Grenzen ebenso wie Fächergrenzen zu überwinden. Dieses Buch, das ein optimistisches Buch ist und durchaus die Bürger mobilisieren will, versucht als zugleich historische und sozialwissenschaftliche Arbeit, einen Schritt in diese Richtung zu tun.“
Zahlreiche Grafiken veranschaulichen sehr gut die Fakten. Die vielen Arten von Gerechtigkeit und Ungerechtigkeiten kommen differenziert zum Ausdruck sowie die enormen Schwierigkeiten, akzeptable Gerechtigkeitsnormen für die Mehrheit zu finden. Auch Konsensbemühungen werden thematisiert.
Zu Rassismus meint Piketty: „Dennoch ist klar, dass sich nicht alle Probleme mit Reparationszahlungen aus der Welt schaffen lassen. Um die von Rassismus und Kolonialismus angerichteten Schäden zu beheben, muss auch und vor allem das Wirtschaftssystem auf einer systemischen Grundlage verändert werden, durch den Abbau von Ungleichheiten und einen möglichst egalitären, von jeder Herkunft unabhängigen Zugang aller zu Bildung, Beschäftigung und Eigentum. Dazu braucht es auch eine ehrgeizige, konsequente und überprüfbare Antidiskriminierungspolitik, ohne darum die Identitäten, die stets vielfältig und vielschichtig sind, zu verhärten. (S 108)
Er geht ausführlich auf das Thema Gender ein. Zum Beispiel schreibt er: „Historisch betrachtet sind Frauen fraglos die Gruppe, die massiver und systematischer als jede andere diskriminiert wurde, im Norden wie im Süden, im Osten wie im Westen, in allen Hinsichten und über alle Breitengrade.“ (S 200) und weiter: „Ein Großteil der Männer mit den höchsten Vergütungen organisiert sein Leben so, dass er Kinder, Familie und Freunde, ja die Außenwelt kaum noch zu Gesicht bekommt, während er aktiv zum entfesselten Konsumismus und zur Umweltzerstörung beiträgt. Das Problem der Geschlechterungleichheit dadurch zu bewältigen, dass Frauen ermuntert werden, es ihnen gleichzutun, kann nicht die Lösung sein. Nötig ist vielmehr ein anderes Gleichgewicht der sozialen Zeitordnungen. Es geht um sehr viel mehr (und um etwas sehr viel Aufregenderes) als ein paar Quoten, sosehr diese auch Teil des Auswegs aus dem Androzentrismus sind.“ (S 205) Ein interessanter Aspekt ist folgender: „Es sind auch neue Ungleichheiten entstanden: Die steigende Scheidungsrate und die Beibehaltung (zuweilen auch Verschärfung) der sehr inegalitären Gütertrennungssysteme haben zu einem paradoxen Anstieg der Vermögensunterschiede zwischen Männern und Frauen geführt.“ (S 205)
Dass das Lektorat nicht auf eine konsequent gegenderte Übersetzung ins Deutsche achtete, ist bedauerlich.
Klar sind auch seine Worte zum Thema „Eliten: „Der Widerstand der Eliten ist ein unausweichliches Faktum, in der heutigen Epoche (mit ihren transnational operierenden Milliardären, die reicher als ganze Staaten sind) mindestens so sehr wie zu Zeiten der Französischen Revolution.“ (S 25) „Die Vorstellung aber, es gäbe einen spontanen Konsens über gerechte und emanzipatorische Institutionen, den es nur noch in die Tat umzusetzen gälte, um den Widerstand der Eliten zu brechen, ist eine gefährliche Illusion.“ (S 26)

Es liegt in der Natur der Sache, dass sich Kritiker:innen finden, wie z.B. die  Wirtschaftshistorikerin Mary O’Sullivan, die meint: «Er kann den Trend der Ungleichheit nicht erklären – weil er die Profitfrage ausblendet.» (https://de.wikipedia.org/wiki/Thomas_Piketty), auf die ich jedoch an dieser Stelle nicht weiter eingehe, weil sich jede:r zuerst eine eigene Meinung bilden soll.

„Das Problem ist, dass sich die 2008 und 2020 betriebene Geldpolitik weiterhin innerhalb eines relativ konservativen Denkschemas hält. Man hat, kurz gesagt, starken Gebrauch von der monetären Waffe zur Rettung von Banken und Bankern gemacht, aber man ist sehr viel zögerlicher, wenn es darum geht, den Planeten zu retten, Ungleichheiten abzubauen oder die öffentliche Hand von erheblichen

Schulden zu befreien, die sie in Krisen und durch diverse Rettungs- und Konjunkturprogramme zugunsten des Privatsektors angehäuft hat.“ (S 260)
Wir sind alle betroffen von der Covid-Krise, dem Krieg gegen die Ukraine und dem Klimawandel. Das könnte mehr als bisher motivieren, sich mit dieser Problematik auseinander zu setzen und mit zu entscheiden, welches Wirtschaftssystem Richtung „zum Wohler aller“ führt. „Wirtschaftliche Fragen sind zu wichtig, um sie anderen zu überlassen. Dass sich die Bürgerinnen und Bürger dieses Wissen zurückerobern, ist  

Etappe im Kampf um die Gleichheit.“ (S 264) Dieser Ansicht schließe ich mich an.

Daher empfehle ich auch jenen, die sich bisher nicht mit Ökonomie auseinandersetzten, dieses Buch zu lesen, zu diskutieren und beizutragen, dass die noch offenen Zukunft eine bessere wird als die Gegenwart.
Wie o.g. Zitate zeigen, ist der Stil klar und verständlich und somit nicht nur für Lehrende und alle Interessierte, sondern auch für Maturant:innen geeignet.

Rezension
Sept. 2022
Ilse M. Seifried, Bed MA
https://www.i-m-seifried.at