Rezensionen

Anuschka Roshani: Gleißen – Wie mich LSD fürs Leben kurierte

Woran denken Sie, wenn sie die Buchstabenkombination LSD hören?
Ich habe in der Sendung Literaturclub des SRF https://www.srf.ch/play/tv/literaturclub/video/gast-anuschka-roshani?urn=urn:srf:video:9b582595-bcd4-41fa-a1f4-b8ae15b32d3a zum ersten Mal Anuschka Roshani, die zu Gast war, gesehen und von deren Buch „Gleissen“ gehört. Sie studierte Verhaltensbiologie und war viele Jahren als Redakteurin beim Spiegel tätig. 2018 erschien ihr Debüt Komplizen. Mich machte das Gespräch neugierig auf ihr Buch.

Abb: https://www.keinundaber.ch/buecher/glei%C3%9Fen?variant=263160

LSD ist seit dem nahezu weltweiten Verbot 1971 in der Schweiz als Untersuchungsgegenstand wieder erlaubt. Aufgrund dieser Forschungsrenaissance recherchierte Anuschka Roshani dazu und erhielt die Gelegenheit, als Probandin an einer wissenschaftlichen Studie teilzunehmen. Darüber erzählt sie in diesem Buch und informiert gleichzeitig auch über die Geschichte, politische Bezüge, Vorurteile, Gefahren und Potentiale von LSD.

Um einen Eindruck ihres Schreibstils zu erhalten, hier ein paar Auszüge:
„Mittlerweile erscheint mir die Erfahrung, sechsmal under the influence gewesen zu sein, zu einem einzigen Paradoxon zusammengeschnürt, das bis in meine Gegenwart ausgestrahlt hat, noch immer weiter ausstrahlt – in einer Widersprüchlichkeit auf immens vielen verschiedenen Ebenen. Seitdem mutet das tägliche Leben schlichtweg eigenartig an, so, als würde alles und jedes miteinander zusammenhängen, obgleich ich nach wie vor nicht unbedingt zu sagen wüsste, wie: Überall entdecke ich jetzt lauter Querverbindungen zu dem Dreh- und Angelpunkt meines »Überwältigungserlebnisses«. (…) Denn allem Anschein nach taugte LSD auch fürs prosaische Dasein als Blicköffner: Plötzlich begann ich, die ordinäre Welt ebenfalls mit radikal anderen Augen zu sehen – und das, nachdem ich sie nur für wenige Stunden derart verändert und unmittelbar angetroffen hatte. Die Substanz hatte mein Ich in eine gefühlte Ewigkeit gebombt – ich glaubte zu sterben –, und meinem Alltagsbefinden währenddessen, so unmerklich wie unverkennbar, eine funkelnagelneue Dimension hinzugefügt. Das Zeug machte mich offensichtlich über den Trip hinaus quicklebendig, in einem Maße lebendig, wie ich es zuvor niemals für möglich gehalten hätte. (…) Ich war sehr nervös (und sehr blauäugig) in dieses tolldreiste Experiment gegangen; und ohne jede Heilserwartung. Anders als jene wissenschaftlichen Studien, welche die Forschungsrenaissance von LSD in den letzten Jahren eingeleitet haben: Sie richten ihr Interesse auf psychische Erkrankungen – besonders auf Depressionen, Angststörungen und Süchte. Die Aufbruchstimmung in der Psychiatrie kommt nicht von ungefähr, rund 200 bis 300 Millionen Menschen weltweit sind seelisch krank. Ein Markt von schätzungsweise einer Milliarde Konsumenten wartet auf neue Arzneimittel, die eine Alternative zu den herkömmlichen Antidepressiva und Angstlösern sein könnten. (…) Wie hatte mir Peter Gasser gesagt, Psychiater in Solothurn und absoluter Pionier in der Erforschung von LSD als Therapeutikum? Er wolle seine mit LSD behandelten Patientinnen und Patienten in seiner Praxis nicht ins »Nirvana« schicken; es gehe darum, dass Arzt und Patient »der Erfahrung Sprache geben und dadurch eine Bedeutung«. Der erste Satz in Annie Ernauxs Buch Le jeune homme spukt mir im Kopf herum: Wenn ich nicht darüber schreibe, bleiben die Dinge unvollendet – dann wurden sie bloß erlebt. Heißt das, solange ich mit Worten ringe, ringe ich in Wahrheit mit dem Abstand und der Nähe zu mir selbst und zu anderen?“

Das Thema Drogen gehört zum Berufsfeld von Pädagog:innen und zum Interessensfeld von Eltern. Anuschka Roshjani gelingt es mit ihrem schmalen Band sowohl viel Informations- und Diskussionsinput zu geben als auch mit ihrem erzählenden Stil ein breites Publikum anzusprechen. Ihr Buch ist aus meiner Sicht für alle Erwachsenen wirklich sehr empfehlenswert.

Sept. 2023
Rezension
Ilse M. Seifried, MA
https://www.i-m-seifried.at

Erzählendes Sachbuch
176 Seiten
€ 22,-
Kein & Aber 2022
ISBN: 978-3-0369-5892-7