
„Die Geschichte, wie ich sie kenne, geht so: …“ Damit macht Pierre Jarawan neugierig und teilt mit, dass alles von vielen Seiten, also von jeder Person anders betrachten werden kann und oft auch wird. Und schon tauchen wir in eine Familiengeschichte ein. Die Zwillingsschwestern Lilit und Lina sind in Montreal geboren und nehmen die Spuren ihrer armenischen Großmutter Anoush auf.
https://www.piper.de/buecher/frau-im-mond-isbn-978-3-8270-1499-3
Bereits im ersten Kapitel ist zu lesen, woher der Buchtitel seinen Ursprung hat. Es wird erzählt, doch es werden auch die Ebenen gewechselt und wird reflektiert: „Gibt es etwas Unglaublicheres als die Liebesgeschichte der eigenen Eltern? Die Vorstellung, dass diese zwei, die ihre beste Zeit hinter sich haben, einmal genauso orientierungslos, suchend, angstvoll, liebend und blind für die Zukunft gewesen sind wie wir? Und gibt es etwas so Unwahrscheinliches, wie die Tatsache, dass die sich überschneidenden Wege einzelner Fremder, die vor hundert und mehr Jahren aus unterschiedlichen Richtungen kamen und kurz innehielten, in der Summe dazu geführt haben, dass wir heute diejenigen sind, die zurückblicken und von ihnen erzählen?“ Stilistisch wird mit der Länge der Sätze das Tempo der Lesenden reduziert und diese Entschleunigung benötigt es, um in dieses Buch, die Geschichte vertiefend eintauchen zu können.
In seinem Dank schreibt der Autor, dass ihm die Idee zu diesem Roman kam, als er die Ausstellung von Joana Hadjithomas und Khalil Joreige sah. Pierre Jarawan hat sich entschieden, Historisches (Lebanese Rocket Society, Genozid von Armenier:innen, Teppichkunst) und Fiktion zu verbinden. Pierre Jarawan, 1985 in Amman, Jordanien geboren kam als Dreijähriger nach Deutschland. Er studierte Fernsehen und Film und erhielt bereits Preise für seine Romane „Am Ende bleiben die Zedern“ (2016) und „Ein Lied für die Vermissten“ (2020).
Auffällig ist die Gliederung des Buches in drei Stufen und fünfzig numerierte Kapitel, deren letztes mit Null überschrieben ist, also zurückzählend berichtet wird. Das ist stimmig und passend. Der Kreis, der Montreal und Beirut verbindet, schließt sich, denn der letzte Satz lautet: „Die Geschichte, wie ich sie kenne, geht so: …“
Dieses Buch zu lesen ist eine intensive bewegende Reise in ein nicht lineares oft überraschendes Universum. Kunstvoll erzählt enthält der Roman dramatische Ereignisse wie auch Tragikomisches, das berührt und nachklingt. Ich empfehle, sich darauf einzulassen.
September 2025
Rezension
Ilse M. Seifried, MA
https://www.i-m-seifried.at
496 Seiten
Berlin Verlag, Piper 2025
EAN 978-3-8270-1499-3
€ 26,80