
Professorin Dr.in Katherine Solomon, Noetikerin, ist zu einem Vortrag nach Prag eingeladen. Sie hat soeben ein Buchmanuskript mit bahnbrechenden Entdeckungen über das menschlichen Bewusstsein fertiggestellt mit Antworten auf die Fragen: Kann eine Person wissen, was in der Zukunft auf sie zukommt? Wirkt Zukunft in die Gegenwart? Wie sind wissenschaftliche Ergebnisse, die sich nicht wiederholen lassen, zu bewerten? Wie entstehen Hoffnungen, Ängste, Träume und Erinnerungen? Was folgt dem Sterben? Ist das Bewusstsein außerhalb des Gehirns?
(Abb.:
https://bastei-luebbe.de/Buecher/Krimis-Thriller/The-Secret-of-Secrets/9783785727706)
Solomon wird von Robert Langdon, Symbolforscher aus Harvard mit eidetischem Gedächtnis, begleitet. Langdon bemüht sich, Solomons wissenschaftliche Ergebnisse nachzuvollziehen.
Auf der wendungsreichen und überraschenden Handlungsebene geht es im Thriller um Widersacher auf höchster politischer Ebene, die Solomons geplante Publikation unbedingt verhindern wollen wie auch um eine Person, die sich selbst als Golem versteht, als Monster bezeichnet wird, und deren Aufgabe es ist, eine Frau um jeden Preis beschützen will.
Allem vorangestellt ist zu lesen: „Alle Experimente, Technologien und wissenschaftlichen Erkenntnisse sind der Wirklichkeit entnommen. Alle Organisationen in diesem Roman existieren.“
Mit dem Satz: „Ich muss gestorben sein, dachte die Frau.“ beginnt alles. Damit wird der Kosmos des Thrillers, der Kunst, Sightseeing, Philosophisches, Kunst, Wissenschaftliches, persönliche Beziehungen, Religion, künstliche Intelligenz, Politik und Kriminelles umfasst, eröffnet. Historisches soll die Gegenwart erhellen, teilte der Autor in einem Interview mit.
Das rasante Erzähltempo lässt das geschickt aufgebaute und strukturierte Buch zum Pageturner werden. Nach 100 Seiten sind gerade zwei Stunden im Handlungsablauf vergangen. Psychologische Tiefeneinblicke sind kein Anliegen des Autors. Und er schreibt keine literarischen Texte, ihm gelingen packenden Plots. Im vorliegenden Band ist das zentrale Thema menschliches Bewusstsein. Aspekte des nicht-lokalem Bewusstseins-Modells werden vermittelt: Nicht das Gehirn erschafft Bewusstsein, sondern erlebt, was ringsum bereits existiert, also interagiert mit einer existierenden Bewusstseinsmatrix. Die Idee ist, dass das menschliche Bewusstsein als Signal verstanden wird, das durch eine Reihe von Pforten ins Gehirn gelangt. Nach dem Tod wird der Körper nicht mehr als Empfangsmedium benötigt, das Bewusstsein ist dann das Signal. Heiligenscheine müssen nicht als Lichtstrahlen, die von Kopf ausgehen, verstanden werden, sondern können auch in den Kopf hineinströmendes Bewusstsein darstellen. Beispiele aus Weltreligionen für diese Idee werden kurz angeführt. Gedächtnis könnte ähnlich einer Datenspeicherung in einer Cloud sein, d.h. Erinnerungsdaten sind ausgelagert gespeichert.
Gendergerechte Sprache wird inkonsequent verwendet, was vermutlich an den beiden Übersetzern liegt. Manche Stilblüten („keuchten spontan auf“, „entwidmet“ etc.) sind dem Lektorat entgangen. Sätze wie: „Was ich gesehen habe, war aber kein Zufall, beharrte Langdons Bauchgefühl. Sondern eine statistische Unmöglichkeit.“ „Social Media, dachte Dana. Für Nachrichtendienste der größte Glücksfall, seit die katholische Kirche die Beichte erfunden hat.“ „Wir erklären das zur Wahrheit, was unseren Bedürfnissen dient.“ „Was wir heute erleben, beruht auf Entscheidungen von morgen.“ sind geschickt im Text eingebaut und stoßen wohl bei vielen Leser:innen auf Widerstand und Irritation wegen Esoterikverdachts, weil ein zeitloses Ganzes vorausgesetzt wird, das nicht der Alltagsrealität entspricht, doch die Phantasie anregt über gefilterte Realität nachzudenken. Bedauerlicher Weise werden nur Männer wie Shakespeare, Homer, Horaz, Newton, Einstein u.a. erwähnt, doch keine einzige Frau wird als Künstlerin, Wissenschaftlerin oder Philosophin namentlich genannt. Das Thema Labyrinth bringt der Autor mit einer Spiegelkabinetterfahrung ein, das ja eigentlich ein Irrgarten ist. Sein Hinweis, immer nur derselben Hand zu folgen, führt nicht, wie er meint lässt, zum Ausgang, sondern zum Eingang, der der Ausgangpunkt war und somit meist nicht zum Zentrum. Es gibt noch weitere Kritikpunkte, wie dem, dass Illusionist:innen, die auf Bühnen vor Tausenden auftreten und mit ihrer Techniken begeistern, gänzlich ignoriert bleiben und in allen Texten antiker Autor:innen ist nur eine einzige Stelle überliefert, in der Katoptromantie beschrieben wird. Darin geht es um ein Demeterheiligtum in Patras und nicht um Athenes Tempel, wie Brown schreibt.
Drogen werden von Brown als bedrohlich und gefährlich beschrieben, auch wenn Drogenerfahrungen nicht als Halluzinationen, sondern als ungefilterte Realität interpretiert werden, wozu es wohl viele Gegenbeispiele gibt. Es wird vor der Kombination von Computerspielen und Drogenkonsum gewarnt, da dies strukturelle Veränderungen im Gehirn mit negativen Folgen hervorrufen kann.
Der Thriller ist kein Sachbuch. Das Buch ist ein Thriller, der Forschungsergebnisse und Thesen einbezieht und neuro-militärisches Wettrüsten und Überwachungsterror problematisiert. Gehirnimplantate können blinden oder gelähmten Menschen hilfreich sein, doch bergen Mensch-Maschine-Verbindungen und künstlich gezüchtete Neuronen auch große Gefahren. Auch Anhänger:innen von Verschwörungstheorien werden eingeordnet, sie könnten unter einer kognitiven Pareidolie leiden, was bedeutet, dass sie Muster sehen, wo keine sind und geordnete Strukturen halluzinieren, wo Chaos ist.
The Secret of Secrets weist auch Amüsantes auf. Der reale Lektor Browns heißt Jason Kaufman. Der Lektor Solomons heißt Jonas Faukman und ist die einzige humorvolle Person in diesem Thriller. („Nennen sie mich Jonas“, zirpte er. „Beim Kidnapping geht es heute nicht mehr so förmlich zu wie früher.“) Browns Agentin Heide Lange wird im Buch zur Botschafterin Heide Nagel. Humor blitzt auch in der kritischen Einfügung über das Starbucks-Symbol auf. Doch hier verbindet Brown die Sirenen als Meerjungfrauen, was historisch falsch ist. Denn: Sirenen sind Mischwesen Mensch und Vogel und ägyptischer und orientalischer Herkunft: Mittler zwischen Himmel, Erde und Unterwelt, Verkörperungen der Seele, mit- ausgebreiteten Flügeln Beschützer der Toten, Grenzwächter von Anderswelten, in Erscheinung und Auftreten den Todesdämonen Harpyie und Ker vergleichbar. Wie bei Bardeleben und Matter-Seibel 2000 nachzulesen ist.
Diese 800 Seiten bieten Tragödien und Happy-Ends, Fakten, Offengelassenes, einen Konflikt zwischen Herz und Hirn und enttäuschen am Ende doch, weil die Lösung bzw. Utopie des Geheimnisses nicht stringent und widersprüchlich ist:
Das wissenschaftlich belegte Wissen, dass es ein Leben nach dem Tod gibt, wird als Hoffnung für ein friedliches menschliches Miteinander postuliert. Doch Gläubige glauben an ein Leben nach dem Tod auch ohne wissenschaftliche Beweise und morden und verüben Attentate und erwarten sich nach ihrem Tod dafür auch noch Belohnungen.
Eine Welt ohne Angst vor dem Tod soll wesentlich besser sein? Femizide werden nicht aus Angst vor dem Tod begangen! Patriarchale Strukturen werden von Brown gänzlich ignoriert. Allerdings sind Männer wie Frauen ebenbürtige Handlungsträger:innen.
Dan Brown, 1964 in den USA geboren, unterrichtete Englisch und Spanisch und war auch als Musiker tätig, ehe er sich ganz dem Schreiben seiner Bücher widmete, die in 54 Sprachen übersetzt und Weltbestseller wurden. Mit diesem Buch legt er den sechsten Band der Reihe Robert Langdon vor.
Der Wunsch des Autors, dass Leser:innen „eine tiefe Neugier auf die Natur des menschlichen Geistes und auf das Wesen der Realität entwickeln“, hat, denke ich, während des Lesens gute Chancen, sich zu erfüllen.
Ich legte das Buch mit einer gänzlich anderen Frage zur Seite: Auf Seite 766 lässt Brown den CIA-Leiter Judd denken, dass, wenn die Menschen wüßten, dass sie alle miteinander vernetzt sind, sie Empathie und nicht Rivalität auslebten. Was hat sich Brown dabei gedacht, als er das schrieb? Dass Denken und nicht Emotionen die Welt regieren und seine Leser:innen diesen Unsinn akzeptieren?
Oktober 2025
Rezension
Ilse M. Seifried, MA
https://www.i-m-seifried.at
800 Hardcover
Übersetzt aus dem amerik. Englisch: Dietmar Schmidt, Rainer Schuhmacher
Lübbe 2025
ISBN 978-3-7857-2770-6
€ 24,99