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Reaktion auf den Kommentar „Krieg und Gas“, apflspalten 10/2022, S. 9f.

Reaktion auf den Kommentar „Krieg und Gas“, apflspalten 10/2022, S. 9f.

Die apflspalten zeichnen sich, sowie apfl-ÖLI-UG als solche, durch ihren gelebten Meinungspluralismus und ihre offene Diskussionskultur aus, die ich sehr schätze. In den apflspalten werden Artikel und Beiträge publiziert, denen ich meistens inhaltlich zustimme, manchmal aber auch nicht. Andreas Chvatals Beitrag zu den vielen Nachteilen des separierenden Schulsystems in Österreich in der aktuellen Ausgabe (Oktober/November 2022) fand ich bspw. sehr gut und treffend formuliert. Im Gegensatz dazu war ich mit einigen Passagen des Kommentars Krieg und Gas, der aus der Feder desselben Autors stammt, ganz und gar nicht einverstanden und möchte auf diesem Weg meine persönliche Sichtweise auf gewisse Punkte gegenüberstellen – auch um aufzuzeigen und zu betonen, dass es innerhalb der apfl-ÖLI-UG eben unterschiedliche Meinungen zu verschiedenen wichtigen Themen gibt!


Alle, die jetzt sagen, sie hätten immer schon gewusst, dass man nur die Ukraine aufmunitionieren
muss, um Putin in die Knie zu zwingen, werden dafür mitverantwortlich sein, wenn Letzterer – vonPanik getrieben – Atomwaffen zum Einsatz bringt.

Hier habe ich eine andere Sicht auf die Dinge: Falls Putin in der Ukraine Atomwaffen einsetzen sollte, wäre niemand anderes dafür verantwortlich als dieser selbst bzw. ein enger Machtzirkel rund um seine Person. Lieferungen konventioneller Waffen zur Verteidigung könnten nie als „Entschuldigung“ für den Einsatz von Massenvernichtungswaffen herhalten. Genauso wenig wie die – langfristigen – Pläne der ukrainischen Regierung eines Tages EU- und NATO-Mitglied zu werden für die Rechtfertigung einer so brutalen Invasion herhalten können. Die einzige Kriegspartei, die in diesem Konflikt immer weiter eskaliert, ist die Russische Föderation. Wenn wir die Schuldigen an diesem Krieg nicht klar benennen, sondern im Gegenteil ihre Schuld relativieren, indem wir behaupten, dass verschiedene „Player“ hier eine Teilschuld hätten, setzen wir für die Zukunft ein Signal, dass so ein Überfall eines hochgerüsteten Landes auf ein (vermeintlich) schwächeres kein gröberes Problem darstellt, weil ja eh jede Seite irgendwie auch Schuld daran hat, zumindest ein bisschen.

Weiters sehe ich es sehr kritisch, wenn hier Putins Propaganda der Angst weitergegeben wird. Der Kremlherrscher hat zwei wirksame Waffen gegen Europa in seinen Händen: Energie und Angst. Seit dem Februar 2022 droht Putin, mal offensichtlicher, mal eher indirekt, mit dem Einsatz von atomaren Waffen. Das erzeugt natürlich Sorgen in Europa und der gesamten freien Welt. Diese Angst in der Bevölkerung soll schließlich Druck auf die Regierungen ausüben, indem sie diese dazu bringt, die Unterstützung der Ukraine zu verringern, einzustellen und im besten Fall (aus Sicht des Kremls) die Ukraine zu einem Diktatfrieden zu drängen, „um noch Schlimmeres zu verhindern“. Seriöse Militärexpert:innen weltweit halten jedoch einen Einsatz von Atomwaffen für unwahrscheinlich (Stand: Oktober 2022). Militärisch scheinen sie de facto völlig sinnlos in dieser Auseinandersetzung zu sein, ihr Einsatz am Schlachtfeld hätte maximal eine psychologische Wirkung auf die Verteidiger:innen der Ukraine und deren Verbündeten. Doch auch diese Wirkung wäre fraglich, auch da dann Russland Gefahr laufen würde, seine restlichen Verbündeten auf der Welt zu verlieren.

Ja, niemand sollte diese Gefahr ignorieren oder kleinreden (denn natürlich besteht ein Restrisiko auf den Einsatz solcher Waffen). Jedoch meine ich, dass die NATO dieses Risiko ernst nimmt, denn kein Fuß eines:einer regulären NATO-Soldaten:Soldatin wurde bis dato in die Ukraine gesetzt. Einknicken sollte man vor solchen Drohungen jedoch auch nicht, damit würde geradezu eine Einladung an sämtliche Autokraten dieser Welt gemacht werden.


Es gilt: „Mit Putin kann man nicht verhandeln!“ Dies ist absurderweise zutreffend, da niemand mit ihm verhandeln will. Dass er in der Sache der Weizentransporte schon verhandelt hat, wird verbissen ignoriert.

Ich habe beim Lesen dieses Absatzes spontan die Staats- und Regierungschefs zahlreicher Staaten, darunter Frankreich, Deutschland, Israel, der Türkei und sogar Österreich (in der Person Karl Nehammers), vor Augen. Zu Beginn des Überfalls haben zahlreiche Staatsspitzen versucht mit Putin zu verhandeln. Es blieb beim Versuch, denn Putin will eben nicht auf Augenhöhe verhandeln – nicht mit der Ukraine und nicht mit EU- und NATO-Staaten. Putin würde sich vielleicht Verhandlungen mit den USA wünschen, um auf solchen, wie einst, Grenzen von Einflusszonen zu ziehen, über die Köpfe der Bürger:innen hinweg. Das kann man nicht wollen, wohin würde dies führen? Den russischen Expansionsbestrebungen müssen Grenzen aufgezeigt werden, sonst geht es womöglich bald nicht mehr um die Ukraine, sondern bspw. das Baltikum oder Polen. Weiters würden wiederum andere Mächte eine solche großzügige Belohnung Putins zahlreicher Tabubrüche mit Interesse registrieren. Der „ewige Frieden“ würde wohl nicht ausbrechen. Ich verstehe nicht, wieso Putin gerade nach der Ukraine genug haben sollte. Das Prinzip Hoffnung galt schon nach Georgien, Syrien und der Annexion der Krim – nun sollte man dazugelernt haben.

 
Die Weizentransporte sind meines Erachtens kein guter Beleg für den Verhandlungswillen der russischen Führung. Durch die vorhergehende Blockade wurden weltweite Hungerkrisen provoziert. Heute exportiert Russland nicht nur geraubtes ukrainisches Getreide, sondern droht außerdem mit einer Nichtverlängerung des gültigen Getreideabkommens, das mit November 2022 ausläuft, mit dem Ziel, die Unterstützer:innen der Ukraine weiter unter Druck zu setzen. Hungertote im „Globalen Süden“ nimmt Putin bei seinem perfiden Spiel nicht nur in Kauf, sie scheinen sogar Teil seiner Taktik zu sein und gerade jetzt in diesen Tagen sorgt Russland dafür, dass nur ein Bruchteil der möglichen Schiffsladungen die Schwarzmeerhäfen verlassen kann, was ebenfalls zu großem Leid in vielen Ländern führen kann.

Warum die Beendigung (!) der Kampfhandlungen quasi automatisch zu Übergriffen auf dieukrainische Bevölkerung führen würde, ist nicht zusehen. Umso mehr als militärisches Scheitern alsGrund für etwaige Kriegsverbrechen wegfallenwürde.

Ich muss gestehen, dass ich diesen Abschnitt zynisch finde, wenn man an die zahlreichen offensichtlichen Kriegsverbrechen der russischen Truppen und Söldnerheere auf ukrainischem Boden denkt, die bereits geschehen sind. Zuerst wurden die Massengräber (darunter zahlreiche wehrlose Zivilist:innen) in Butscha entdeckt, nach und nach auch in anderen zurückeroberten Teilen der Ukraine. Mir erschließt sich überhaupt nicht, wieso wir davon ausgehen sollten, dass solche Verbrechen sofort eingestellt würden, wenn nur die Ukraine endlich einen Teil ihres Staatsgebietes an Russland abtreten würde. Im Gegenteil, wir müssten davon ausgehen, dass die Zivilbevölkerung zahlreichen weiteren Gefahren – Gewalt, Zwangsumsiedelungen, Unterdrückung, Vertreibung, Ermordung – ausgesetzt wäre. Wir dürfen uns nicht selbst mit der Vorstellung trösten, dass es „schon nicht so schlimm“ werden würde.

Und so wird der Krieg andauern – weil die entscheidenden Kräfte keinen Frieden wollen.

Diesem Satz stimme ich unermüdlich zu, falls mit den erwähnten „entscheidenden Kräften“, die nationalistischen Kräfte im Kreml gemeint sind.

Die Russinnen und Russen, die diesen Protest wagen, verdienen unsere Unterstützung mindestens ebenso,wie die ukrainischen Soldaten.

Hier stimmen wir in unseren Ansichten überein, so wie ich Andreas‘ weiteren Ausführungen über die Auswirkungen des Krieges auf den Strom- und Energiemarkt, sowie die Inflation, zustimme.

Wir alle wollen einen baldigen stabilen Frieden im Osten Europas. Ich befürchte jedoch, dass es leider noch einige Zeit und leider viele Opfer für diesen brauchen wird. Ein „Deal“ mit dem Diktator zum derzeitigen Zeitpunkt würde uns allen und der Ukraine – so fürchte ich – wohl maximal eine Atempause, eine vorübergehende Waffenpause bringen, die das russische Regime vermutlich gut für eine erneute Aufrüstung nutzen könnte, bevor ein erneutes Schlachten beginnt. Dies lehrt uns die jüngste Geschichte (Georgien 2008, Krim 2014, Donbas 2014 – heute etc.). Es mag verlockend klingen, Frieden um jeden Preis (welchen in diesem Fall allein die Ukrainer:innen bezahlen müssten) zu fordern und Putins Plänen gegenüber nachzugeben, um das unsägliche Blutvergießen auf europäischem Boden zu beenden, was ja grundsätzlich ein hehres Ziel ist. Jedoch wären wir dann von einem tatsächlichen Frieden und der Wahrung des Völkerrechts wohl sehr weit weg, so traurig diese Tatsachen auch sind.

Zum Abschluss möchte ich betonen, dass auch ich vor dem 24. Februar 2022 zum Teil gänzlich andere Meinungen in Fragen der Außen- und Verteidigungspolitik vertrat, als ich es heute tue. Für mich war dieser Tag eine einschneidende Zäsur, in der Folge änderte sich auch ein Teil meines Weltbildes. Es kam mir, wie vielen anderen, beinahe so vor, als wäre ich aus einem trügerischen Traum gerissen worden. Dennoch müssen wir uns wohl leider eingestehen, dass unsere kleine Welt in Europa unsicherer ist, als wir uns das offenbar eingestehen wollten. Gegen diese Unsicherheiten müssen wir gewappnet sein und uns weiterhin wappnen. Verleugnen hilft uns nicht.

Alexander Krause